Amy Sillman im Aachener Ludwig Forum

22.03. - 31.8.2025 | Ludwig Forum Aachen

Amy Sillman, Coin Lady 3, 2024 (Ausstellungsansicht)

Die Malerei und die Zeit

Der Wunsch, die Zeit, wenn schon nicht anzuhalten, dann doch aus ihrem ständigen Voranschreiten (oder gar Ablauf?) für einen Moment hinauszutreten und ein ästhetisches Zeichen zu setzen, dieser dürfte zentraler Impuls jeglichen künstlerischen Schaffens sein. Die Hoffnung auf ein kleines bisschen Dauer führt seit je den Pinsel, den Stift, das Werkzeug. Kann das gelingen? „Oh, Clock!“: Dieser Ausruf hallt hinweg über die große Soloschau von Amy Sillman im Aachener Ludwig Forum und er scheint ein gerüttelt Teil Skepsis zu enthalten. Tatsächlich thematisiert die 1955 in der (nun auch schon längst ehemaligen) Autometropole Detroit geborene Künstlerin ausgerechnet im (statischen) Medium der Malerei das wesensmäßig dynamische Phänomen der Zeit. Interessant tatsächlich, dass Sillmans Interesse an der Zeit sie nicht, wie so viele andere Künstler (und vor allem auch Künstlerinnen) dieser Generation, zum zeitbasierten Medium schlechthin, nämlich dem Film (oder der Performance) geführt hat. Nein, sie beharrt stattdessen auf der Kraft der tradierten Kunst der Malerei, auch diese Herausforderung noch bewältigen zu können.

Die Zeit also als Gegenstand der Malerei. Und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: Im ersten Teil der Ausstellung ist eine Auswahl von Sillmans malerischem und zeichnerischem Werk der letzten zehn Jahre zu sehen. Und klar, dass sich dieses Werk während eines Dezenniums auch verändert. Was hier persönliche Entwicklung, was aufs Konto der Zeitläufte zu schreiben ist, muss freilich offen bleiben. Der selbstgewiss ausgreifende Gestus der US-amerikanischen Abstraktion der Nachkriegszeit ist da zu spüren, aber auch die leise Poesie und dichte Konzentration von Konzeptualisten wie etwa Eva Hesse.

Unabhängig vom gerade gewählten Medium pulsiert eine Art philosophische Aura in dieser Kunst. Oder, wie es die Kunsthistorikerin Jenny Nachtigall im Katalog formuliert, „bewegt sich Sillmans Werk oft im Schwellenraum zwischen Wörtern und Bildern, Abstraktion und Expression, Bedeutung und Empfindung.“ Aber wie kommt nun die Zeit ins einzelne Bild? Entscheidend hier das Arbeiten an einem Werk über einen langen Zeitraum hinweg, gerne auch mal ein ganzes Jahr. Schicht auf Schicht legt sich dabei auf die Leinwand, dem Übermalen tritt das Abkratzen an die Seite, der Produktion die Wieder-Zerstörung. Sillman geht manchmal so weit, in der Ausstellung ihrem Werk eine Art von „Making of“ zuzugesellen, detaillierte Diagramme, welche die bildnerischen Findungsprozesse mit all ihren Veränderungen nachvollziehbar machen.

Zweite wesentliche Komponente von „Oh, Clock!“ (kuratiert von Eva Birkenstock) ist etwas, für das sich der Begriff der Sammlungsintervention eingebürgert hat: Sillman wählte mehrere Dutzend Werke unterschiedlichster Art, alle von fremder Hand, aus dem überreichen Fundus der Sammlung von Irene und Peter Ludwig und arrangierte sie auf diagonal die Räume durchschneidenden Wänden, die sie wiederum mit eigenen malerischen Kommentaren versah.

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Amy Sillman. Oh, Clock!
22.03. – 31.8.2025
Ludwig Forum Aachen
Jülicher Str. 97–109
D-52070 Aachen
Tel.: +49-241-1807104
Di – So 10 – 17 Uhr, Do 10 – 20 Uhr
Eintritt: 6 €, erm. 3 €
www.ludwigforum.de

Text: Dieter Begemann
Bild: Ludwig Forum Aachen
Erstveröffentlichung in kunst:art 103