Mit der Zeit… – Jeanne Mammen Retrospektive in der Berlinischen Galerie

6.10.2017 – 15.1.2018 | Berlinische Galerie

 

von Tamara Branovic //

 

Berlin als kulturelle Haupt- und Weltstadt, als Zentrum der Avantgarde und künstlerischen Neuentwicklungen löste zur Zeit der Weimarer Republik gesellschaftliche und kulturelle  Befreiungsakte aus, die sich besonders in der Literatur, Kunst, Film und Theater manifestierten. Eine kulturelle Reformation, die wie ein Lauffeuer sich verbreitete und allzu nah am heutigen Sinn der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung steht.

Neben bekannten Künstlern wie Max Beckmann, Otto Dix oder auch George Grosz nimmt auch die zurückhaltende Zeichnerin und Malerin Jeanne Mammen die Position einer„Beobachterin“ jener Epoche ein. Ihr Œuvre jedoch blieb im Vergleich zu denen ihrer männlichen Künstlerkollegen lange unbeachtet. Im Auftrag des Landesmuseums für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur widmet nun die Berlinische Galerie – passend zu ihrem Sammlungsschwerpunkt – in einer Einzelausstellung der facettenreichen Künstlerin eine umfangreiche Retrospektive mit über 170 Werken aus über 60 Jahrzehnten.

Ihre Schaffensperioden gehen weit über die Zeit der Weimarer Republik und der beiden Weltkriege hinaus. So sah sich die Künstlerin bis zu ihrem Tod 1976 als Wandlerin durch einzelne politische, wirtschaftliche und kulturhistorische Stationen eines halben Jahrhunderts und bot auf diese Weise einen Querschnitt durch prägende Stilrichtungen wie unter anderem den Symbolismus, die Neue Sachlichkeit, den Expressionismus oder den Kubismus. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Mammen in Paris. Es waren wahrscheinlich die frühen Jahre an der Pariser Académie Julian und die Studienaufenthalte im europäischen Ausland, die ihren Blick und Sinn für die Nuancen gesellschaftlicher Feinheiten und Divergenzen schärften und zu ihren einprägsamen Porträts und einem beachtlichen Erfolg in den „Goldenen Zwanzigern“ in Berlin führten. Die beiden Weltkriege brachten der jungen Künstlerin auch Krisenjahre am Rande der Existenz, diese resultierten jedoch nie in einer Schaffenskrise. So zäh diese Abschnitte waren, so zäh und ausdauernd war auch die Berlinerin. In ihrer künstlerischen Ausdrucksform richtet sie sich gegen die Zensur des dritten Reiches und malt und zeichnet beharrlich weiter, nicht zuletzt auch inspiriert durch die Werke Picassos aus jener Zeit.

Vielleicht kann man ihr eine gewisse künstlerische Ambivalenz in ihren wechselnden Stilrichtungen nachsagen. Doch machte sich Mammen Techniken zu eigen, um jene Wahrnehmung in ihrer emotionalen, aber auch formalen Darstellungsweise umzusetzen. Wenn Paul Klee seine zarten Farb- und Symbollandschaften übereinander schichtete, um einem möglichen inhärenten emotionalen Aufbau, einer Struktur näher zu kommen, so hat auch Mammen sich in die tiefe Schalung eines Momentes, einer Zeitkulisse hineingewagt. Dabei waren dies keine profanen Repliken oder Kopien, die hervorkamen. Spürbar ist ihre individuelle Perspektive  – die Frau, die keinen Grenzen, keinen Einschränkungen unterliegen wollte und keiner Profilierung nachjagte, vielmehr sich mit den Jahren durch die Abstraktion zu befreien wusste und ein ebenso starkes und epochales Œuvre aus Zeichnungen, Filmplakaten, Skulpturen und Gemälden schuf, die in einem bisher einzigartigen Umfang von Dr. Annelie Lütgens (Leiterin der Grafischen Sammlung der Berlinischen Galerie) zusammengeführt und für den Besucher ganzheitlich erfahrbar werden.

 

Text aus der kunst:art 57

 
Jeanne Mammen – Die Beobachterin
Retrospektive 1910 – 1975
6.10.2017 – 15.1.2018, Berlinische Galerie
Alte Jakobstr. 124 – 128, D-10969 Berlin
Tel.: +49-30-78902600
Mo + Mi – So 10 – 18 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 7 €
www.berlinischegalerie.de

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