Zwei umfangreiche Ausstellungen in Frankfurt und Bielefeld widmen sich Käthe Kollwitz

23.3. – 16.6.2024 | Kunsthalle Bielefeld

Käthe Kollwitz, Brustbild einer Arbeiterfrau mit blauem Tuch, 1903

Wirken in der Zeit

Politisch, ungeschönt, extrem rau und unerwartet modern – wurde die Kunst von Käthe Kollwitz (1867–1945) zu ihren Lebzeiten noch in konservativen Kreisen als „Rinnsteinkunst“ verschrien, gilt sie heute als eine der berühmtesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit höchster technischer Qualität, zeichnerisch wie druckgrafisch, stellt sie den Menschen, seine existenziellen Konflikte und seine Verwundbarkeit mit gnadenloser Eindringlichkeit in das Zentrum ihres meist monochromen Œuvres.

In Kollwitz‘ Kindheitstagen wurde das Deutsche Kaiserreich ausgerufen, sie erlebte mit 47 Jahren den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, mit 65 Jahren das Ende der Weimarer Republik und als 72-Jährige den Beginn des Zweiten Weltkriegs – gravierende historische Umwälzungen säumen ihren Lebensweg, die sich heute zuweilen weit entfernt anfühlen. Und doch sind ihre Werke von frappierender Aktualität, die Konflikt, Krieg und Trauma im Zentrum ihres motivischen Kosmos tragen.

Diesen Bogen ins Heute erhärtet die Ausstellung der Kunsthalle Bielefeld, eine Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich und entstanden in Zusammenarbeit mit dem Käthe Kollwitz Museum Köln. Denn die figurativen, realistischen Zeichnungen und Grafiken von Käthe Kollwitz werden hier kontextualisiert mit fünf Installationen der palästinensisch-britischen Künstlerin Mona Hatoum (* 1952). Hatoums Schaffen ist wesentlich abstrakter: Mit schwarzen Kanonenkugeln, die sich zu einem überdimensionalen Rosenkranz zusammenfügen, oder organisch wirkenden roten Glasobjekten in schwarzen Metallkäfigen ist ihre Ästhetik reduziert, und doch nicht minder eindringlich. Sie begegnet dem Schaffen von Käthe Kollwitz an den Schnittstellen von Kriegserfahrungen, in ihrem Fall der ab 1975 15-jährige Bürgerkrieg in ihrer Heimat Libanon, menschlichem Leid und Verletzlichkeit. 2010 wurde ihr der Käthe-Kollwitz-Preis verliehen, sodass dieser Künstlerinnendialog äußerst stimmig scheint.

Die Ausstellung im Frankfurter Städel Museum stellt das Schaffen von Käthe Kollwitz indes alleinig in ihren Mittelpunkt. Eine umfangreiche Sammlung von nahezu allen ihren Grafik-Auflagen sowie von Hand überarbeiteten Abzügen und Zeichnungen ist im Besitz des Museums. Sie wird komplementiert durch Leihgaben unter anderem aus dem Käthe Kollwitz Museum Köln, dem Berliner Kupferstichkabinett sowie der Staatsgalerie Stuttgart, sodass über 110 Arbeiten auf Papier, Plastiken und frühe Gemälde der Künstlerin in Frankfurt zu erleben sind.

Ihre Bildsprache wird in Werkgruppen gegliedert tiefer ergründet, ebenso wie ihre Experimente in Farbe und Form und der prozessuale Charakter ihrer Kunst. Zudem richtet sich ein Fokus auf die Rezeptionsgeschichte deutsch-deutscher Lesarten der Künstlerin nach 1945, da ihr Werk in Deutschland vielfach instrumentalisiert wurde.

Die Künstlerin Kollwitz, die selbst in den Weltkriegen einen Sohn und einen Enkel verlor, legte unermüdlich ihren Finger in die Wunden, die der Krieg riss; immer wieder erschüttern sie, ihre Bilder von Leid und Elend, die einer inneren Notwendigkeit entsprungen zu sein scheinen. „Ich will wirken in dieser Zeit“, betonte die Künstlerin einst – und das gelingt ihr bis heute.

Ninja Elisa Felske ist Kunsthistorikerin und freie Kuratorin.

Stellung beziehen. Käthe Kollwitz, Mona Hatoum
23.3. – 16.6.2024
Kunsthalle Bielefeld
Artur-Ladebeck-Str. 5
D-33602 Bielefeld
Tel.: +49-521-32999500
Di – So 11 – 18 Uhr, Mi 11 – 21 Uhr
Eintritt: 10 €, erm. 4 €
www.kunsthalle-bielefeld.de

Kollwitz
20.3. – 9.6.2024
Städel Museum
Schaumainkai 63
D-60596 Frankfurt am Main
Tel.: +49-69-605098200
Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
Eintritt: 18 €, erm. 16 €
www.staedelmuseum.de

Text: Ninja Elisa Felske
Bild: Kunsthalle Bielefeld
Erstveröffentlichung in kunst:art 96