Gottfried Helnwein im Osthaus Museum Hagen

bis zum 30.6.2024 I Osthaus Museum Hagen

Gottfried Helnwein, Disasters of War, 2020

Chronist des Schrecklichen

Die Monster sind los, und das Problem ist: Sie sehen aus wie wir. Anlässlich des 75. Geburtstags des Künstlers wurde letzten Herbst in der Albertina eine große Retrospektive von Gottfried Helnweins Werk der letzten zwanzig, dreißig Jahre gezeigt, die von Elsy Lahner kuratiert wurde. Die Ausstellung war sehr gut besucht, und zur Freude des Künstlers und des Personals schienen die meisten Gäste untypische Museumsbesucher zu sein. Das ist genau das, was Gottfried Helnwein (* 1948) anstrebt: ein möglichst breites Publikum zu erreichen, die Menschen zu zwingen, sich mit den Taten, Gefühlen und Impulsen auseinanderzusetzen, die in der Dunkelheit schwelen, und seine Betrachter zu zwingen, über die Schrecken nachzudenken, die nur der Mensch verursachen kann.

Helnwein stellt uns vor die vollendete Tatsache, dass das Böse real ist, keine Fiktion, und dass es dargestellt werden kann. Seine beunruhigenden Bilder von jungen Mädchen, die mit Blut bedeckt oder auf irgendeine Weise sichtbar verletzt sind, die sich in einer psychisch zerstörerischen Umgebung befinden oder die eine für ein Kind unangemessene Sexualität ausleben, sind mit den Jahren immer größer geworden. Helnwein gibt sich nicht mehr mit salongroßen Gemälden zufrieden, sondern hat sich in seinem Malstil und in seiner Präsentation dem Hyperrealismus verschrieben. Er sucht nach Möglichkeiten, seine Werke auf Gebäudefassaden und Türmen in den größtmöglichen Formaten zu präsentieren. Da die Welt immer lauter wird und es so viele Konkurrenten um die Aufmerksamkeit eines jeden Einzelnen gibt, nutzt Helnwein auch Strategien, um sicherzustellen, dass seine Arbeit und seine Botschaft wahrgenommen werden.

Der Direktor des Osthaus Museum Hagen, Dr. Tayfun Belgin, ist ein Bewunderer Helnweins, seit er ihn Mitte der 1990er-Jahre kennenlernte, als Helnwein mit seiner Familie in Schloss Burgbrohl in der Eifel lebte, circa einhundert Kilometer vom Museum entfernt. Diese Gelegenheit, eine so gut kuratierte Ausstellung zu zeigen, die die verschiedenen Techniken, die Helnwein beherrscht (Malerei, Fotografie und Grafik), hervorhebt und auch eine Installation enthält, durfte nicht verpasst werden. Trotz seiner technischen Fähigkeiten, detaillierte und annähernd realitätsgetreue Bilder zu schaffen, bezeichnet sich Gottfried Helnwein als „Konzeptkünstler“.

Es ist wirklich verblüffend zu beobachten, dass Helnweins Werk wieder mehr und mehr der Realität entspricht. Aufgewachsen in der düsteren Atmosphäre des Nachkriegsösterreichs, war seine Kindheit erfüllt von traurigen Eindrücken von Männern und Frauen, deren Existenzen vom Hass entstellt waren, und einer visuellen Landschaft von zerbombten Gebäuden, die darauf warteten, wieder auferstehen zu können. Diese eindringliche Traurigkeit hat seine Arbeit nie verlassen. Seine Bilder von Babys und Nazis, Mickey Mouse und Manga, Krieg und Ruinen zwingen uns dazu, immer wieder in die „dunkle Nacht der Seele“ zurückzukehren, wie der Mystiker Johannes von Kreuz treffend gedichtet hat.

Das Erschreckende dabei ist, dass Helnweins Gemälde in der heutigen Welt nicht mehr wie Übertreibungen von Situationen wirken, die entweder weit weg oder zu entsetzlich sind, um wahr zu sein. Stattdessen üben sie eine fast unentrinnbare Faszination auf den Betrachter aus, denn Gottfried Helnweins Bilder des Schmerzes und der Zerstörung sind schrecklich vertraut und daher, perverserweise, zutiefst befriedigend anzuschauen. Ein Katalog begleitet die Ausstellung.

Dr. Renée Gadsden lebt und arbeitet in Wien.

Gottfried Helnwein. Realität und Fiktion
bis zum 30.6.2024
Osthaus Museum Hagen
Museumsplatz 1
D-58095 Hagen
Tel.: +49-2331-2073138
Di – So 12 – 18 Uhr
Eintritt: 7 €, erm. 3,50 €
www.osthausmuseum.de

Text: Dr. Renée Gadsden
Bild: Osthaus Museum Hagen
Erstveröffentlichung in kunst:art 97