von Jonathan Stern //
Die wuchtigen Mauern des ehemaligen Schlosses derer von Uchtenhagen in Neuenhagen bei Bad Freienwalde umschließen im Erdgeschoss ein geschmackvoll-experimentell eingerichtetes Café sowie eine Galerie für Kunst. Mithin: Den ruhigen, hohen Wänden des mittelalterlichen Baus ist nicht jedes Werk gewachsen. Schon manch ein Aquarell wurde jammernd wieder hinausgetragen und zurück in eine Arztpraxis gehängt. Doch was sehen wir nun? Ein Blick in die Galerie verrät: Worthülsen und Masken, die gut eingeübte Persona, rechts und links, richtig und falsch wurden gerade eben über den Haufen geworfen und vom Leben überrannt. Das Schlachtfeld der Vorurteile hat Spuren und Schrunden hinterlassen, doch die Lebensfreude und der freie Wuchs haben gesiegt. Ja! Die bequeme Anpassung an das Erwünschte ist in dieser Perspektive nicht mehr enthalten. Was wir statt dessen sehen, ist: ein Charakter. Jede Zeichnung, jede Skulptur. Nicht political correct, unwillkürlich also nicht vorhersehbar und deshalb nicht in jedem Kontext convenient, schwer einzuordnen und dennoch unverkennbar: Hans Scheib.
In Potsdam geboren, in Ost-Berlin aufgewachsen, studiert Scheib bis 1976 Bildhauerei in Dresden und wandert schon 1985 nach West-Berlin aus. Es folgen: Florenz, Addis Abbeba, Ohio, Chicago, Tiblissi (Tiflis), Peking, New York, Chicago, Istanbul, Jerewan in Armenien. Die unbändigen, großen, von sinnlich-sensibler Grobschlächtigkeit gekennzeichneten Skulpturen erregen Aufmerksamkeit und Schaudern. Ob ihrer Grobheit, ob ihrer Treffsicherheit.
Mit “einem Hans Scheib” im Büro ist auch ein Büro kein Büro mehr. Ein Fluchtpunkt und Aussteigertunnel des Humors ist geschaffen. Und geht man den Dingen auf den Grund, sind sie ohnehin nicht mehr, was sie scheinen: Aus dem Büro wird ein “zottiges Gewand” (von lat. “burra”) und aus Hans die seltene Erkenntnis,: „Gott ist gnädig: Du darfst lachen“.
Für Scheibs Skulpturen und Schnitte sind die schweren Neuenhagener Schlossmauern nun wie gemacht: Keine ablenkenden Details, kein neutraler White-Cube. Vielmehr das Gewicht vom Widerstand gegen die Zeit, das Echo der Geschichte lässt die Wangen seiner Madonnen und Mütter glänzen.
Am offen Kamin lodert das Feuer, ein Gast lässt sich mit einem Weinglas auf dem Zebra-gestreiften Sofa nieder, ein Stuhl wird hinzugerückt, jemand lacht und ein Gespräch beginnt. Die neuen Schlossherren Christina Bohin und Andreas Unterberger haben mit dem Ziel, einen Ort der Begegnung und der Lebensfreude zu schaffen, mit Feingefühl, Humor und Großzügigkeit in Neuenhagen ein kulturelles Kleinod geschaffen, das jedem jedes Wochenende offen steht. Von Bad Freienwalde fährt Sie der Bus 874 bis vor die Tür.
Hans Scheib – Großer Geist
1.10. – 17.12.2017, Schloss Neuenhagen
Schloss Galerie, Freienwalder Str. 12, D-16259 Bad Freienwalde, OT Neuenhagen
Tel.: +49-33369-775671
Sa + So 12 – 18 Uhr
Eintritt frei
www.schloss-neuenhagen.de
Text aus der kunst:art 58
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