Banale und toxische Beziehungen
Bei der 19 Minuten langen Performance „Breathing in/ Breathing out“, die im April 1977 in Belgrad
aufgezeichnet wurde, hängen die Künstler Ulay und Marina Abramovic – und damit ihr Überleben – für
die Dauer von fast zwanzig Minuten buchstäblich voneinander ab. Die Münder innig aneinandergepresst,
tauschten sie ihren Atem aus, die einzige Sauerstoffquelle, bis die Künstler kollabierten. Was wie
bedingungslose Liebe ausschaut, erweist sich als toxisch und könnte im Tod enden. Eine, wenngleich
auf den ersten Blick irritierende, Position, die in der umfangreichen Ausstellung „Liebe ist alles“ in der
Galerie Judith Andreae zu sehen ist.
15 internationale Positionen reflektieren das grenzüberschreitende Thema Liebe in ihrer ganzen
Diversität. Die Künstlergruppe Action Hero hat europaweit mehr als 1.000 Menschen angefragt, in ihrer
jeweiligen Sprache ein Liebeslied zu singen, und alles in Schrift, Bild und Ton dokumentiert. Eine
Auswahl von 45 Liebesliedern ist nun in der Galerie zu hören. Die Künstlerin Fiona Banner zitiert in ihrer
Textarbeit Popsongs bis 1998, deren Titel mit „I love you“ beginnen. Ikonische Liebeslieder von Frank
Sinatra und Céline Dion sind selbstverständlich darunter. Lars Eidinger liefert mit seiner Fotografie dreier
Partygänger, zwei Männer und eine Frau, nur die Vorlage. Der Betrachter entscheidet selbst, wie das
Trio seinen Abend verbringen wird. Und was zunächst poetisch ausschaut, endet banal, wenn Emma
Adler zwei Waschbecken von Villeroy & Boch in Beziehung setzt.
Liebe ist alles. Gruppenausstellung
8.6. – 17.8.2024
Galerie Judith Andreae
Paul-Kemp-Str. 7
D-53172 Bonn
Tel.: +49-228-93490881
Mi 10 – 18 Uhr, Do + Fr 14 – 18 Uhr, Sa 11 – 15 Uhr
Eintritt frei
www.galerie-andreae.de
Text: Stefan Simon
Bild: Galerie Judith Andreae
Erstveröffentlichung in kunst:art 98